Startups: Überlegungen zur Referenzgrösse nach OR 725

Bei der Aufnahme von Investorengeldern sind Startups unseres Erachtens gut beraten, zeitgleich mit dem Kapitalerhöhungbeschluss der Generalversammlung auch einen Beschluss über die Zuweisung des ungesperrten Teils des einzubezahlenden Agios in die freien Reserven zu fassen. Die Gründe hierfür und bis zu welchem Betrag dies zulässig ist, erfahren Sie in diesem Beitrag.

Startup-Investoren sind sich bewusst, dass ihr Investment zur Entwicklung “verbrannt” wird.
— RA Sebastian Wälti

Startups funktionieren in gewissen Bereichen anders als reguläre Gesellschaften. Ein zentraler Unterschied zeigt sich bei der Unternehmensfinanzierung über Aufnahme von Eigenkapital. Kapitalerhöhungen von Startups sind üblicherweise so ausgestaltet, dass das nominale Aktienkapital möglichst geringfügig mit einem hohen Agio erhöht wird. Dies im Bewusstsein der Zeichner, dass dieses Agio zum Aufbau und zur Entwicklung des Geschäftsmodells “verbrannt” werden wird.

Diese Art der Unternehmensfinanzierung hat Folgen bezüglich der Handlungspflichten des Verwaltungsrates im Rahmen einer gesetzlichen Unterbilanz. Das Interesse des Startups und der Investoren ist es nämlich, eine Unterbilanz möglichst lange zu vermeiden, da sobald sie eintrifft, wieder Geld von Investoren aufgenommen werden muss. Je länger dieser Prozess hinausgezögert werden kann, desto höher dürfte der Aktienpreis bei der folgenden Kapitalerhöhungsrunde sein. Dies zumindest unter der Annahme, dass die Bemühungen des Startups erfolgreich sind und deshalb der Wert zeitlich gesehen steigt.

Nach Art. 725 Abs. 1 OR hat der Verwaltungsrat unverzüglich eine GV einzuberufen und Sanierungsmassnahmen zu beantragen, wenn die letzte Jahresbilanz zeigt, dass die Hälfte des Aktienkapitals und der gesetzlichen Reserven nicht mehr gedeckt ist. Das Aktienrecht subsumiert in seiner geltenden Fassung unter den Begriff gesetzliche Reserven die allgemeine Reserve, die Reserve für eigene Aktien und die Aufwertungsreserve. Gemäss dem neuen Rechnungslegungsrecht sind die gesetzlichen Reserven in gesetzliche Kapitalreserven und gesetzliche Gewinnreserven aufzuteilen (vgl. Art. 959a Abs. 2 Ziff. 3 OR). Zuteilungskriterium bildet hierbei die Herkunft der jeweiligen Reserve.

Nach Art. 671 Abs. 2 Ziff. 1 OR ist das Agio der allgemeinen Reserve zuzuweisen. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung braucht es hierfür kein Zutun der GV, da die gesetzliche Vorschrift das Agio unmittelbar den allgemeinen Reserven zuweist (BGE 140 III 533, E. 6.2.1). Soweit die allgemeine Reserve die Hälfte des Aktienkapitals übersteigt, darf diese frei verwendet werden (Art. 671 Abs. 3 e contrario). Dieser Teil wird häufig ungesperrter Teil der allgemeinen Reserve genannt. Dementsprechend kann auch das einbezahlte Agio, welches die Hälfte des Aktienkapitals übersteigt ausgeschüttet werden.

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Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob für die Berechnung der Referenzgrösse nach Art. 725 Abs. 1 OR die allgemeine Reserve als ganzes oder lediglich der gesperrte Teil, sprich derjenige welcher 50% des Aktienkapitals nicht übersteigt, dem Aktienkapital hinzuzurechnen ist. Diese Frage ist in der Lehre umstritten. Peter Böckli, einige Handelsregisterämter sowie der Prüfungsstandard 290 von EXPERTsuisse vertreten die Ansicht, dass die ganze allgemeine Reserve bei der Berechnung der Referenzgrösse zu beachten sei. Dies weil der Beschluss über die Verwendung des ungesperrten Teils der allgemeinen Reserve in den Kompetenzbereich der Generalversammlung fällt (Art. 698 OR).

Nach dieser Argumentation sollte es unseres Erachtens zulässig sein, dass die GV zeitgleich mit ihrem Beschluss über die Erhöhung des Aktienkapitals beschliesst, dass der ungesperrte Teil des einbezahlten Agios, der freien Reserve zuzuweisen sei. Dadurch würde verhindert werden, dass dieser Teil bei der Berechnung der Referenzgrösse nach Art. 725 Abs. 1 OR hinzuzurechnen ist. Die Gründe für die Zulässigkeit dieses Beschlusses sind unseres Erachtens, dass durch diesen Beschluss erstens die Kompetenzordnung nicht verletzt wird, weil die GV über die Verwendung beschliesst und nicht der Verwaltungsrat und zweitens entspräche diese Lösung wohl auch der Botschaft, wonach die gesetzlichen Reserven mit dem Betrag, welcher von der letzten GV gemäss Art. 698 OR genehmigt worden ist, einzusetzen sind. Dass es sich beim Beschluss der GV im Rahmen der Kapitalerhöhung nicht um einen Genehmigungsbeschluss handelt, ist unseres Erachtens unbeachtlich.

Abschliessend kann festgehalten werden, dass es bei Startups oftmals empfehlenswert sein dürfte, beim Beschluss der GV über die Kapitalerhöhung gleich einen weiteren Beschluss über die Zuteilung des ungesperrten Agios zu den freien Reserven zu fassen. Dieses Vorgehen ermöglicht, dass das Startup weniger schnell in die Situation einer gesetzlichen Unterbilanz gerät und so die Chancen auf eine höhere Bewertung bei der nächsten Finanzierungsrunde erhöht werden.


Für individuelle Fragen und als direkte Ansprechspartner stehen Ihnen Balthasar Wicki und Sebastian Wälti gerne zur Verfügung.