Urteilsbesprechung: Entschädigung für missbräuchliche Kündigung ist steuerfrei
Nach Art. 336a OR hat die Partei, die das Arbeitsverhältnis missbräuchlich kündigt, der anderen Partei eine Entschädigung von bis zu sechs Monatslöhnen zu entrichten. Wie eine solche Entschädigung steuerlich zu behandeln ist, war bisher nicht gänzlich geklärt und wurde je nach Kanton unterschiedlich beurteilt. Auch in der Literatur herrschte Uneinigkeit darüber.
Das Bundesgericht hat im Urteil 2C_546/2021 erstmals Klarheit geschaffen und entschieden, dass eine Entschädigung nach Art. 336a OR überwiegend den Charakter einer Genugtuungszahlung hat und somit steuerfrei ist.
Sachverhalt
Nach 16 Jahren im selben Betrieb wurde einer Arbeitnehmerin gekündigt. Die Arbeitnehmerin klagte daraufhin gegen ihren Arbeitgeber wegen missbräuchlicher Kündigung. Im Rahmen einer Schlichtungsverhandlung verpflichtete sich der Arbeitgeber zu einer Netto-Zahlung von CHF 25'000.
Die Steuerverwaltung des Kantons Waadt entschied, dass die Entschädigung als Einkommen zu versteuern sei. Das Kantonsgericht des Kantons Waadt entschied dagegen, dass die Zahlung von CHF 25'000 als eine Entschädigung für eine missbräuchliche Kündigung gemäss Art. 336a OR qualifiziert werden könne und deshalb kein steuerpflichtiges Einkommen darstelle.
Bundesgerichtliche Argumentation
Gemäss Rechtsprechung kann eine Kündigung insbesondere aufgrund der Art und Weise, wie sie ausgesprochen wird, missbräuchlich sein, weil sie in charakteristischer Weise gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstösst. Eine Kündigung durch den Arbeitgeber kann ausserdem missbräuchlich sein, wenn der Arbeitgeber die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers verletzt.
Da sich die Parteien schon bei der Schlichtungsverhandlung einig wurden, musste kein Gericht darüber entscheiden, ob die Kündigung tatsächlich missbräuchlich war. Doch die Frage, ob die Zahlung unter Art. 336a OR fällt, war noch offen. Eine Auslegung des Vergleichs sollte Antworten liefern.
Das Bundesgericht führte aus, dass sich der Arbeitgeber im Rahmen eines Schlichtungsverfahrens wegen missbräuchlicher Kündigung bereit erklärte, eine Entschädigung zu zahlen. Angesichts der Gesamtheit der Umstände konnte man den Vergleich so auslegen, dass dieser eine Anerkennung der Missbräuchlichkeit beinhaltete. Weiter hob das Bundesgericht hervor, dass in diesem Vergleich Begriffe fehlten, die betonen, dass der Arbeitgeber keine Rechtspflicht anerkennt:
«Bien qu'assisté par un avocat, l'ancien employeur de l'intimée n'avait pas assorti son engagement d'une réserve telle que "sans reconnaissance de responsabilité", "à bien plaire" ou encore "par gain de paix". Sur la base de ces éléments, les juges précédents ont admis que l'accord passé devait être interprété comme comprenant la reconnaissance du caractère abusif du licenciement litigieux.»
Da der Arbeitgeber den Vergleich mit keinem Vorbehalt wie "ohne Anerkennung der Rechtspflicht" versehen hatte, ist die Anerkennung der Missbräuchlichkeit der Kündigung anzunehmen.
Betreffend die steuerliche Betrachtung der Zahlung führte das Bundesgericht aus, dass Genugtuungszahlungen zum Ziel haben, den durch die Verletzung von Persönlichkeitsrechten erlittenen immateriellen Schaden zu kompensieren. Der Staat soll sich jedoch steuerlich nicht am Unglück der Bürger bereichern, weshalb diese steuerfrei sind.
In Bezug auf Art. 336a OR erklärt das Bundesgericht, die Entschädigung diene dem Zweck, die Arbeitnehmerin für das Unrecht zu entschädigen, das sie durch die missbräuchliche Entlassung erfahren habe:
«L'indemnité de l'art. 336a CO vise en effet à compenser l'atteinte subie par l'employé découlant du caractère abusif de son licenciement et qui, de par sa nature, implique une atteinte à la personnalité.»
Eine missbräuchliche Kündigung beinhaltet nämlich per se eine Persönlichkeitsverletzung, weshalb eine Entschädigung nach Art. 336a OR eine steuerfreie Genugtuungszahlung ist.
Unsere Einschätzung
Zu begrüssen ist, dass sich das Bundesgericht ausdrücklich dazu äussert, dass eine Entschädigung nach Art. 336a OR als Genugtuungszahlung kein steuerpflichtiges Einkommen darstellt. Damit schafft es Rechtssicherheit in Bezug auf künftige arbeitsrechtliche Streitigkeiten, die eine Entschädigung wegen missbräuchlicher Kündigung zum Inhalt haben.
Erwähnenswert ist aber auch, dass das Bundesgericht hervorhebt, wie wichtig die Formulierung von Bestimmungen in Vergleichen ist. Bei Vergleichsverhandlungen, unabhängig davon, ob vor einer Schlichtungsbehörde oder nur unter den Parteien, ist es von elementarer Bedeutung, die Bestimmungen in einer Vereinbarung so zu formulieren, dass diese klar den Willen der Parteien wiederspiegeln.
Es gibt verschiedene Begriffe und Floskeln, die erklären, ob die Parteien Zugeständnisse machen. Andere Begriffe können aber auch erklären, dass trotz Zugeständnissen keine Rechtspflicht anerkannt wird (wie der übliche Zusatz "ohne Anerkennung einer Rechtspflicht"). Fehlt dieser, lässt sich schnell daraus ableiten, dass man anerkennt, eine missbräuchliche Kündigung ausgesprochen zu haben.
Haben Sie Fragen zu Formulierungen in Vergleichsverträgen oder generell Fragen im Zusammenhang mit arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen? Wenden Sie sich gerne Arife Asipi.