Aktienrechtsrevision | Teil 1: Kapital und Reserven

Dieser Beitrag ist Teil unserer Artikelreihe mit einer Zusammenfassung der “Aktienrechtsrevision (voraussichtlich in Kraft ab 1.1.2023)”. Wir werden regelmässig geänderte Teile der Revision beleuchten und die mögliche Auswirkungen für die Praxis skizzieren.


Anpassungen und Auswirkungen für die Praxis

Aktienkapital in ausländischer Währung

Seit der Neuregelung des Rechnungslegungsrechts im Jahr 2013 kann die Rechnungslegung einer Gesellschaft in einer ausländischen Währung geführt werden, soweit diese für die Geschäftstätigkeit wesentlich ist. Dies ist der Fall, wenn sie dem primären wirtschaftlichen Umfeld des Unternehmens entspricht (funktionale Währung).

Anders als im Rechnungslegungsrecht muss nach geltendem Recht das Aktienkapital zwingend in Schweizerfranken angegeben werden (Art. 621 OR und Art. 45 Abs. 1 Bst. h HRegV). Um den Gleichlauf zwischen Aktien- und Rechnungslegungsrecht zu sichern, kann neu auch das Aktienkapital in der für die Gesellschaft funktionalen Währung angegeben werden, sofern die Voraussetzungen von Art. 621 Abs. 2 revOR gegeben sind.

Vor allem Gesellschaften, die bereits heute die Rechnungslegung in einer Fremdwährung führen, profitieren von dieser Vorschrift und können kapitalbezogene Vorgehen wie die Reservenbildung, Dividendenausschüttung oder die Beurteilung der Überschuldung in der gewählten Währung festlegen, ohne diese in Schweizerfranken umrechnen zu müssen. Für Gesellschaften, die heute die Rechnungslegung in Schweizerfranken führen, verändert sich unseres Erachtens nichts.

Anpassung des Mindestnennwerts

Das geltende Aktienrecht schreibt einen Mindestnennwert von 1 Rappen pro Aktie vor. Jedoch kann auch bei Aktien mit einem Nennwert von 1 Rappen noch ein Bedürfnis nach einem Aktiensplitting oder einer Nennwertreduktion bestehen, wenn die Gesellschaft zum Beispiel neue Aktienkategorien wie Stimmrechtsaktien schaffen möchte. Neu wird daher bloss vorgeschrieben, dass die Aktien einen Nennwert von mehr als null Schweizerfranken haben müssen (Art. 622 Abs. 4 revOR).

Die Zerlegung von Aktien in kleinere Anteile ändert nichts am Anteil des einzelnen Aktionärs am gesamten Aktienkapital, sofern alle Aktien in gleiche Teile zerlegt werden. Mit einer Anpassung des Mindestnennwertes kann die Aktiengesellschaft in der Stückelung ihrer Aktien flexibler sein.

Streichung der Bestimmungen zur qualifizierten Gründung

Im geltenden Recht regelt Art. 628 OR die qualifizierten Gründungstatbestände der Sacheinlage, der (beabsichtigten) Sachübernahme und der besonderen Vorteile. Alle Tatbestände weisen das erhöhte Risiko für die Gläubiger aus, dass die Gegenstände einen unsicheren Wert haben und dadurch die Liquidität für die Gesellschaft nicht in versprochener Höhe existiert. Darüber hinaus ist vor allem die Anwendung des Tatbestandes der (beabsichtigten) Sachübernahme mit Unsicherheiten verbunden, da einerseits das subjektive Element der Absicht Schwierigkeiten bereitet und andererseits schwierig zu erkennen ist, wann eine Sacheinlage und wann eine Sachübernahme vorliegt. Dadurch, dass die Gläubiger bereits durch bestehende Regelungen des Kapitalerhaltungs-, Verantwortlichkeits- und des Rechnungslegungsrechts geschützt sind, werden mit der Revision die qualifizierten Tatbestände gestrichen. Die damit verbundene Statuten- und Registerpublizität entfällt.

Trotz der Streichung des geltenden Art. 628 OR sind qualifizierte Gründungen weiterhin erlaubt. Die Grenze ist der Rechtsmissbrauch mittels Scheinsacheinlagen. Belege sind gemäss Art. 43 Abs. 3 und Art. 45 Abs. 2 revHRegV einzureichen, wobei die Bestimmungen zur Einreichung und Eintragung von Sachübernahmen gestrichen wurden. Bei der gemischten Sacheinlage und Sachübernahme, wobei für die eingelegten Vermögenswerte sowohl Aktien/Stammanteile als auch eine Gegenleistung von der Gesellschaft geleistet wird, besteht über die Gegenleistung weiterhin unverändert die Statuten- und Registerpublizität.

Kapitalband

Nach geltendem Aktienrecht ist die genehmigte Kapitalerhöhung, aber nicht die genehmigte Kapitalherabsetzung erlaubt (Art. 651 OR). Zudem ist die genehmigte Kapitalerhöhung auf 2 Jahre beschränkt. Mit dem neuen Kapitalband (Art. 653s ff. revOR) kann die Generalversammlung den Verwaltungsrat ermächtigen, flexibel während einer Dauer von 5 Jahren das Aktienkapital um 50% zu erhöhen oder herabzusetzen. Es ist auch möglich, mit dem Kapitalband nur die Erhöhung oder nur die Herabsetzung des Kapitals festzulegen. Das Kapitalband ersetzt so die genehmigte Kapitalerhöhung und führt eine neue "genehmigte Kapitalherabsetzung" ein.

Das Kapitalband ermöglicht dem Verwaltungsrat, bedarfsgerechter und dynamischer auf Veränderungen zu reagieren. Kapitalveränderungen können dadurch ohne vorgängige Aufforderung an die Gläubiger und ohne Prüfungsbestätigungen durch Revisoren sofort vorgenommen werden.

Reserven

Im geltenden Recht werden die gesetzlichen Kapital- und Gewinnreserven in Art. 671 OR als "allgemeine Reserven" geregelt. Die freiwilligen statutarischen Reserven finden sich in Art. 672 OR wieder. Die Bestimmungen zu den Reserven werden mit der Revision an das bereits revidierte Rechnungslegungsrecht angepasst. So finden sich neu die gesetzliche Kapitalreserve, die gesetzliche Gewinnreserve und die in den Statuten festlegbare freiwillige Gewinnreserve in Art. 671 ff. revOR wieder. Die freiwilligen Reserven dürfen neu ausdrücklich nur geschaffen werden, wenn das dauernde Gedeihen des Unternehmens dies rechtfertigt. Das bedeutet, dass die Reserven nicht unternehmensfremden oder missbräuchlichen Zwecken dienen dürfen. Darüber hinaus wird ausdrücklich festgelegt, dass gesetzliche Kapitalreserven den Aktionären zurückbezahlt werden dürfen, sofern die gesetzlichen Kapital- und Gewinnreserven nach Abzug eines allfälligen Verlustvortrags die Hälfte (bei Holdinggesellschaften 20%) des eingetragenen Aktienkapitals übersteigen.

Unsere Handlungsempfehlungen

Wir empfehlen, die Statuten und Reglemente von einem Experten oder einer Expertin überprüfen zu lassen und bei Bedarf die neuen Bestimmungen bereits jetzt im Entwurf anzudenken. Damit können die Vorteile des neuen Rechts ausgeschöpft und veraltete Artikel vorausschauend abgeändert werden. Gerne helfen wir Ihnen dabei.

 

Haben Sie Fragen zur Aktienrechtsrevision 2023? Wenden Sie sich gerne an Balthasar Wicki oder Sebastian Wälti.