Das Akteneinsichtsrecht der Gläubiger im Nachlassverfahren

Gläubiger im Nachlassverfahren sind oft daran interessiert, an Informationen über die Tätigkeiten des Sachwalters und über den Nachlassschuldner zu gelangen. Denn die Höhe ihrer Nachlassdividende hängt mitunter davon ab, dass der Sachwalter das Nachlassverfahren ordnungsgemäss durchführt. Ausserdem wollen sich Gläubiger in der Regel ein Bild von der finanziellen Lage des Nachlassschuldners machen, bevor sie sich entscheiden, dem Nachlassvertrag zuzustimmen oder diesen abzulehnen.

Das Recht auf Akteneinsicht nach Art. 295 Abs. 4 i.V.m. Art. 8a des Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes (SchKG, SR 281.1) kann ein hilfreiches Mittel sein, solche Informationen beim Sachwalter zu beschaffen. Jedoch ist das Akteneinsichtsrecht gewissen Schranken unterworfen und an Voraussetzungen gebunden. So muss der Gläubiger beispielsweise aufzeigen können, dass er ein rechtliches Interesse an der Einsicht hat. Ausserdem kann er nicht alle Akten des Nachlassschuldners einsehen.

Dieser Beitrag richtet sich an Gläubiger im Nachlassverfahren und soll vermitteln, welche Voraussetzungen und Schranken bei der Akteneinsicht nach Art. 295 Abs. 4 i.V.m. Art. 8a SchKG zu beachten sind und welche Akten eingesehen werden können (siehe Abschnitt A). Die schweizerische Rechtsordnung sieht ausserdem weitere, inner- und ausserhalb des SchKG verankerte Akteneinsichtsrechte vor. Für Gläubiger im Nachlassverfahren relevant sind die Aktenauflage vor der Gläubigerversammlung nach Art. 301 Abs. 1 SchKG (siehe Abschnitt B), das Akteneinsichtsrecht im Zivilprozess nach Art. 53 Abs. 2 ZPO (siehe Abschnitt C), sowie das verfassungsrechtliche Akteneinsichtsrecht nach Art. 29 Abs. 2 BV (siehe Abschnitt D). Diese weiteren Möglichkeiten sollen kurz beleuchtet werden, damit Gläubiger sich ein Gesamtbild über die zur Verfügung stehenden Mittel der Informationsbeschaffung machen können.

A. Das Akteneinsichtsrecht im Nachlassverfahren nach Art. 295 Abs. 4 i.V.m. Art. 8a SchKG

Um Akteneinsicht zu erhalten, stellt der Gläubiger beim Sachwalter ein Gesuch um Akteneinsicht. Der Sachwalter prüft, ob das Gesuch die gesetzlichen Anforderungen erfüllt und ob die Einsichtnahme mit dem Sanierungszweck vereinbar ist. Mit dem Sanierungszweck nicht vereinbar ist beispielsweise eine Einsichtnahme, die Geschäftsgeheimnisse offenbart und damit die Fortführung des sanierten Unternehmens gefährdet. Ausserdem wägt der Sachwalter die Interessen des Gläubigers gegen die Interessen des Nachlassschuldners ab und gewährt bzw. verweigert dementsprechend die Einsicht.

Voraussetzung der Einsicht: Das rechtliche Interesse

Voraussetzung der Einsicht ist das Glaubhaftmachen eines schützenswerten, besonderen und gegenwärtigen rechtlichen Interesses. Das Interesse muss nicht finanzieller Natur sein, sondern es genügen auch andere rechtliche Interessen, z.B. das Interesse an der Vollstreckung einer Forderung. Glaubhaftmachen bedeutet, dass der Gesuchsteller das Interesse nicht streng nachweisen muss. Das Bestehen des Interesses muss dem Sachwalter aber wahrscheinlich erscheinen.

Grundsätzlich kann jedermann – also nicht nur Gläubiger, sondern auch Dritte – mit einem rechtlichen Interesse Akteneinsicht beantragen. Bei Gläubigern nimmt der Sachwalter jedoch automatisch an, dass diese ein rechtliches Interesse an der Akteneinsicht haben. Gläubiger sollten jedoch beachten, dass sie zahlreiche Akten ohnehin im Rahmen der Aktenauflage während 20 Tagen vor der Gläubigerversammlung einsehen können (Art. 301 Abs. 1 SchKG). Wenn ein Gläubiger Einsicht in bestimmte Akten verlangt, die er bei dieser Auflage ohnehin einsehen können wird, besteht grundsätzlich kein Interesse an einer früheren Einsichtnahme und der Sachwalter lehnt das Gesuch ab. Welche Akten bei der Auflage nach Art. 301 Abs. 1 SchKG eingesehen werden können, zeigt Abschnitt B unten auf.

Der Sachwalter kann Gläubigern die Einsicht verweigern, wenn sich das Gesuch auf Gründe stützt, die mit ihrer Eigenschaft als Gläubiger nichts zu tun haben. Dasselbe gilt, wenn das Gesuch keinen vernünftigen Zweck hat, sondern dem Sachwalter nur unnütze Umtriebe verursachen würde, oder wenn der Bekanntgabe eines bestimmten Aktenstücks eine gesetzliche Geheimhaltungspflicht entgegensteht.

Ausserdem kann der Sachwalter die Einsicht verweigern, wenn das Gesuch nicht die Einsicht in klar eingegrenzte Akten verlangt, sondern vage formuliert ist und im Sinne einer «fishing expedition» auf das Sammeln möglichst vieler Informationen abzielt.

Auch Gesuche, die einen geringen Zusammenhang zum Nachlassverfahren haben oder nicht notwendig sind, damit der Gläubiger seine Rechte und Pflichten im Nachlassverfahren wahrnehmen kann, werden vom Sachwalter abgelehnt. So wird ein Gesuch beispielsweise dann abgelehnt, wenn die verlangten Akten zur Einleitung von Straf- oder Zivilverfahren gegen Dritte (d.h. Personen, die weder Nachlassschuldner noch Gläubiger im Nachlassverfahren sind) benötigt werden. Ausserdem werden Gesuche dann abgelehnt, wenn die Akten für einen hängigen Zivilprozess gegen den Nachlassschuldner benötigt werden. Innerhalb eines Zivilprozesses kann jedoch die Akteneinsicht nach Art. 53 Abs. 2 ZPO ein wichtiges Mittel sein, um an Informationen zu gelangen (siehe Abschnitt C unten).

Inhalt und Umfang des Einsichtsrechts

Eingesehen werden können das Protokoll des Sachwalters und die dazugehörigen Akten. Die Einsicht findet in den Räumlichkeiten des Sachwalters statt, es kann aber auch ein Auszug bestellt werden (Art. 295 Abs. 4 i.V.m. Art. 8a SchKG).

Der Sachwalter muss ein Protokoll über seine Tätigkeiten führen (Art. 295 Abs. 4 i.V.m. Art. 8 SchKG). Der Umfang des Protokolls beschränkt sich auf die wichtigsten Geschehnisse, die andernfalls später nicht mehr nachweisbar wären. Der Sachwalter muss beispielsweise festhalten, wann er mit wem korrespondiert hat.

Die zum Protokoll gehörenden Akten umfassen beispielsweise die Buchhaltung des Nachlassschuldners inklusive Belege oder die Protokolle der Sitzungen der Organe des Nachlassschuldners. Im Unterschied zu den Konkursämtern muss der Sachwalter aber nicht alle Akten des Nachlassschuldners zu sich nehmen. Vom Einsichtsrecht umfasst sind nur diejenigen Akten, die bereits beim Sachwalter liegen. Der Sachwalter kann also nicht verpflichtet werden, beim Nachlassschuldner Akten einzuholen, damit der Gläubiger diese einsehen kann.

Steht das Zustandekommen eines ordentlichen Nachlassvertrags nach Art. 314 ff. SchKG in Aussicht, ist anzunehmen, dass der Nachlassschuldner nach Abschluss des Nachlassverfahrens sein Geschäft weiterführt. In einem solchen Fall sind die Geschäftsgeheimnisse des Nachlassschuldners zu wahren, weshalb sich der Umfang des Einsichtsrechts reduziert. Akten, die Aufschluss auf Geschäftsgeheimnisse geben oder deren Einsichtnahme auf andere Weise den Sanierungszweck gefährden würde, sind also nicht oder nur geschwärzt einsehbar.

B. Aktenauflage vor der Gläubigerversammlung nach Art. 301 Abs. 1 SchKG

Ein weiteres Mittel, um bestimmte Akten des Sachwalters bzw. des Nachlassschuldners einzusehen, ist die Aktenauflage vor der Gläubigerversammlung (Art. 301 Abs. 1 SchKG). Ein Gesuch um Akteneinsicht nach Art. 295 Abs. 4 i.V.m. Art. 8a SchKG ist für diese Akten nicht erforderlich und würde aufgrund des mangelnden Einsichtsinteresses ohnehin scheitern. Bevor ein Gesuch um Akteneinsicht in Betracht gezogen wird, sollte also abgeklärt werden, welche Akten im Rahmen der Aktenauflage eingesehen werden können.

Die Aktenauflage läuft wie folgt ab: Sobald der Sachwalter den Entwurf des Nachlassvertrags erstellt hat (Art. 301 Abs. 1 SchKG) oder die definitive Nachlassstundung über zwölf Monate hinaus verlängert wird (Art. 295b Abs. 2 SchKG), beruft er die Gläubigerversammlung ein. Nach der Einberufung haben die Gläubiger innerhalb von 20 Tagen vor der Gläubigerversammlung die Möglichkeit, die Akten einzusehen (Art. 301 Abs. 1 SchKG). Der Sachwalter legt die Akten zu diesem Zweck in seinen Räumlichkeiten auf. Dritte können die Akten grundsätzlich nicht einsehen, auch wenn sie ein Interesse glaubhaft machen. Diese Möglichkeit der Informationsgewinnung ist also grundsätzlich nur für Gläubiger verfügbar.

Insbesondere können die folgenden Akten eingesehen werden:

  • der Entwurf des Nachlassvertrags;

  • die Akten betreffend die Eröffnung des Nachlassverfahrens, z.B. das Stundungsgesuch inkl. Beilagen;

  • die Entscheide des Nachlassgerichts bzw. des Gläubigerausschusses;

  • die Berichte und Anträge des Sachwalters bzw. des Schuldners an das Nachlassgericht bzw. an den Gläubigerausschuss;

  • die Weisungen und Verfügungen des Sachwalters;

  • das Inventar;

  • die Schätzungsunterlagen;

  • die Eröffnung der Pfandschätzung;

  • das Verzeichnis der Forderungseingaben;

  • eine Übersicht über die Vermögenssituation des Nachlassschuldners.

Auch hier gilt, dass bei gewichtigen Geheimhaltungsinteressen oder Geschäftsgeheimnissen des Nachlassschuldners die Akten nur geschwärzt oder gar nicht aufgelegt werden.

C. Das Akteneinsichtsrecht im Zivilprozess nach Art. 53 Abs. 2 ZPO

Die Zivilprozessordnung (ZPO, SR 272) sieht in Art. 53 Abs. 2 ein weiteres Akteneinsichtsrecht vor. Auch dieses kann von Gläubigern im Nachlassverfahren geltend gemacht werden, sofern sich diese als Partei in einem Zivilprozess befinden. Das Gesuch um Akteneinsicht nach Art. 53 Abs. 2 ZPO ist nicht beim Sachwalter, sondern beim für den Zivilprozess zuständigen Gericht zu stellen.

Eingesehen werden können sämtliche Akten, die dem Gericht als Entscheidgrundlage im Zivilprozess dienen können. Da die Parteien und Dritte im Rahmen der Beweiserhebung verpflichtet sind, Urkunden an das Gericht herauszugeben (sog. Mitwirkungs- bzw. Editionspflicht, Art. 160 Abs. 1 lit. b ZPO), bietet sich auch hier die Möglichkeit, an interne Informationen des Nachlassschuldners zu gelangen, sofern dieser als Partei oder als Dritter am Prozess beteiligt ist.

Um Akteneinsicht nach Art. 53 Abs. 2 ZPO zu erhalten, muss sich der Gläubiger als Partei in einem Zivilprozess befinden, d.h. er muss Parteistellung haben. Dabei ist zu beachten, dass sich die Parteistellung nicht aus der Gläubigerstellung im Nachlassverfahren ergibt. Das bedeutet, einem Gläubiger im Nachlassverfahren kommt nicht automatisch Parteistellung zu, nur weil er Gläubiger ist. Vielmehr hat der Gläubiger nur dann Parteistellung, wenn er ein Rechtsmittel erhebt, z.B. die Beschwerde nach Art. 295c SchKG. Hat der Gläubiger Parteistellung, muss er keine weiteren Voraussetzungen mehr erfüllen und kann ohne Nachweis eines besonderen Interesses sämtliche Akten einsehen.

D. Die verfassungsrechtliche Akteneinsicht nach Art. 29 Abs. 2 BV

Die Bundesverfassung (BV, SR 101) sieht in Art. 29 Abs. 2 ein weiteres Akteneinsichtsrecht vor. Dieses ergibt sich aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör. Das Gesuch um Akteneinsicht nach Art. 29 Abs. 2 BV ist nicht beim Sachwalter, sondern beim Nachlassgericht zu stellen. Das Akteneinsichtsrecht kann sowohl inner- als auch ausserhalb eines hängigen Verfahrens, in dem die rechtssuchende Person Parteistellung hat, geltend gemacht werden.

Wenn der Gläubiger sich als Partei in einem hängigen Verfahren befindet, also Parteistellung hat, kann er vorbehaltlos und ohne Geltendmachung eines besonderen Interesses Einsicht in die Akten des Gerichts nehmen

Wenn der Gläubiger keine Parteistellung hat, sind die Voraussetzungen der Akteneinsicht strenger: Es muss ein schutzwürdiges Interesse glaubhaft gemacht werden. Dieses kann beispielsweise dann gegeben sein, wenn die Einsichtnahme Voraussetzung für die Abklärung von Prozesschancen oder für die Vorbereitung eines Revisionsverfahrens ist. Ausserdem liegt ein schutzwürdiges Interesse vor, wenn ein Gläubiger zur Vorbereitung einer Beschwerde gegen den Nachlassentscheid (Art. 295c SchKG) beim Nachlassgericht um Akteneinsicht ersucht.

Demgegenüber ist das schutzwürdige Interesse nicht gegeben, wenn der Gläubiger um Akteneinsicht ersucht, um seine allgemeinen Gläubigerrechte und -Interessen (z.B. Entscheid über die Annahme des Nachlassvertrags) wahrzunehmen. Für diese Fälle kann der Gläubiger beim Sachwalter ein Gesuch um Akteneinsicht stellen (Art. 295 Abs. 4 i.V.m. Art. 8a SchKG, siehe Abschnitt A oben) oder die Akten vor der Durchführung der Gläubigerversammlung einsehen (Art. 301 Abs. 1 SchKG, siehe Abschnitt B oben).

E. Fazit

Die schweizerische Rechtsordnung sieht verschiedene Möglichkeiten vor, wie Gläubiger im Nachlassverfahren die Akten des Nachlassschuldners bzw. des Sachwalters einsehen können.

In den meisten Fällen genügt die Einsichtnahme im Rahmen der Aktenauflage nach Art. 301 Abs. 1 SchKG, damit sich die Gläubiger ein Bild über die Lage des Nachlassschuldners machen können und z.B. einen informierten Entscheid über die Zustimmung bzw. Ablehnung des Nachlassvertrags treffen können. Von den vier in diesem Beitrag aufgezeigten Möglichkeiten der Akteneinsicht ist dies diejenige mit dem geringsten Aufwand, da sich das Recht auf Einsicht in die aufgelegten Akten aus der Gläubigerstellung ergibt und ansonsten an keine Voraussetzungen gebunden ist. Es muss nicht einmal ein Gesuch gestellt werden.

Sind Informationen erforderlich, die bei der Aktenauflage nicht eingesehen werden können, oder ist die Aktenauflage bereits geschehen, kann ein Akteneinsichtsgesuch nach Art. 295 Abs. 4 i.V.m. Art. 8a SchKG sinnvoll sein. Hierzu muss der Gläubiger aber beim Sachwalter ein Gesuch einreichen, in welchem er ein rechtliches Interesse an der Einsicht glaubhaft macht. Ohne ein solches rechtliches Interesse besteht kein Einsichtsrecht, d.h. eine Informationsbeschaffung im Sinne einer «fishing expedition» ist nicht möglich.

Befindet sich der Gläubiger als Partei in einem Zivilprozess, kann er vom Akteneinsichtsrecht nach Art. 53 Abs. 2 ZPO Gebrauch machen. Art. 53 Abs. 2 ZPO bietet die umfassendste Einsicht, da grundsätzlich alle Akten eingesehen werden können, die eine Entscheidgrundlage für das Gericht sein können.

Wenn keine der oben genannten Möglichkeiten Erfolg versprechen, kann die Akteneinsicht nach Art. 29 Abs. 2 BV Abhilfe verschaffen. Die Akteneinsicht wird Gläubigern ohne Parteistellung allerdings nur gewährt, wenn sie ein schutzwürdiges Interesse haben, d.h. wenn sie die Einsicht z.B. zur Vorbereitung eines Beschwerdeverfahrens nach Art. 295c SchKG benötigen.

F. Handlungsempfehlung

Bevor sie rechtliche Schritte einleiten, sollten Gläubiger im Nachlassverfahren zunächst abklären, welche der vier in diesem Beitrag aufgezeigten Möglichkeiten für Ihre Situation am geeignetsten ist. So kann unnötiger Aufwand – z.B. abgewiesene Akteneinsichtsgesuche und darauffolgende Rechtsmittelverfahren – verhindert und der Umfang der erlangten Informationen maximiert werden.

Bei Fragen zum Nachlassverfahren, zu den Rechten der Gläubiger und des Nachlassschuldners und zur Tätigkeit des Sachwalters stehen Ihnen Balthasar Wicki, Arife Asipi und Roch Zufferey gerne zur Verfügung.