Aktienrechtsrevision | Teil 4: Die Umsetzung von Art. 95 Abs. 3 BV in der Aktienrechtsrevision

Dieser Beitrag ist Teil unserer Artikelreihe mit einer Zusammenfassung der Aktienrechtsrevision (in Kraft ab 01.01.2023). Wir werden regelmässig geänderte Teile der Revision beleuchten und die mögliche Auswirkungen für die Praxis skizzieren.


Am 3. März 2013 fand im Rahmen der Volksinitiative "gegen die Abzockerei" Art. 95 Abs. 3 BV Eingang in die Bundesverfassung. Die Bestimmungen in Art. 95 Abs. 3 BV sind nicht unmittelbar anwendbar und weisen sich als Aufträge an den Gesetzgeber aus. Bis zur Umsetzung der Aufträge im Obligationenrecht (OR) sowie im Strafgesetzbuch (StGB) hat der Bundesrat als Übergangsbestimmung per 1. Januar 2014 die Verordnung gegen übermässige Vergütungen bei börsenkotierten Aktiengesellschaften (VegüV) erlassen. Dieser Beitrag zeigt im Einzelnen auf, wie die Umsetzung der Regelungen ins OR stattfindet und ob allfälliger Handlungsbedarf für die Aktiengesellschaften besteht.

1.      Art. 95 Abs. 3 lit. a BV

Kompetenzen der Generalversammlung

Buchstabe a von Art. 95 Abs. 3 BV nennt die neuen unübertragbaren Befugnisse der Generalversammlung von börsenkotierten Aktiengesellschaften. So ist das die jährliche Abstimmung über alle Arten von Vergütungen des Verwaltungsrats, der Geschäftsleitung und des Beirates. Zudem nennt Buchstabe a als weitere Aufgabe die jährliche Wahl der Verwaltungsratspräsidentin oder des Verwaltungsratspräsidenten, einzelner Mitglieder des Verwaltungsrats, des Vergütungsausschusses sowie der unabhängigen Stimmrechtsvertreterin oder des unabhängigen Stimmrechtsvertreters. Die Vorgaben sind in Art. 2 VegüV in Form eines Katalogs über die unübertragbaren Massnahmen der Generalversammlung enthalten und die Art. 3 bis 11 VegüV regeln die Einzelheiten zu den Wahlen.

Der Katalog der unübertragbaren Befugnisse der Generalversammlung einer börsenkotierten Aktiengesellschaft findet mit der Aktienrechtsrevision in Art. 698 Abs. 3 revOR auf Gesetzesstufe Einzug. Der Wortlaut wurde sinngemäss von Art. 2 VegüV übernommen.

In Art. 689c revOR regelt der Gesetzgeber die Wahl des unabhängigen Stimmrechtsvertreters sowie in Art. 733 revOR die Wahl der Mitglieder des Vergütungsausschusses. Der Vergütungsausschuss muss aus Mitgliedern des Verwaltungsrats bestehen.

In den Art. 735 und Art. 735a revOR finden sich die Bestimmungen über die Abstimmung der jährlichen Vergütungen aller Art an den Verwaltungsrat, den Beirat und an die Geschäftsleitung. Nach Art. 735 Abs. 3 Ziff. 4 revOR muss in den Statuten zwingend die Bestimmung aufgenommen werden, dass bei prospektiven Abstimmungen über Vergütungen ein Vergütungsbericht zur Konsultativbestimmung der Generalversammlung vorgelegt wird.

Elektronische Abstimmung

Der dritte Satz des Buchstaben a von Art. 95 Abs. 3 BV besagt, dass die Aktionärinnen und Aktionäre elektronisch fernabstimmen können. Diese knapp formulierte Regelung bedarf genauerer Ausführungen durch das Gesetz und eine technische Umsetzung durch die Aktiengesellschaften. Das VegüV regelt keine Einzelheiten dazu. Art. 9 Abs. 1 Ziff. 3 VegüV besagt lediglich, dass die Erteilung von Vollmachten und Weisungen an den unabhängigen Stimmrechtsvertreter auch elektronisch geschehen könne.

Art. 701c revOR regelt, dass Aktionäre, die nicht physisch an der Generalversammlung teilnehmen, ihre Rechte auf elektronischem Weg ausüben können. Mit dieser Regelung findet die Bestimmung der BV Eingang ins Obligationenrecht. Weiter führt Art. 701d revOR die Möglichkeit einer virtuellen Generalversammlung ein. Art. 701a Abs. 2 revOR statuiert die Möglichkeit, die Generalversammlung an verschiedenen Tagungsorten gleichzeitig durchzuführen, solange sämtliche Teilnehmer die Voten mit Bild und Ton an ihren Tagungsort übertragen bekommen. Dies geschieht in der Praxis durch eine Live-Videoübertragung. Präzisere Ausführungen zur elektronischen Generalversammlung finden Sie in unserem Beitrag Elektronische Mittel in der Generalversammlung.

2.      Art. 95 Abs. 3 lit. b BV

Buchstabe b verbietet jegliche Abgangs- oder andere Entschädigungen, Vorausvergütungen, Prämien für Firmenkäufe und -verkäufe und zusätzliche Berater- oder Arbeitsverträge einer Gesellschaft derselben Gruppe für die Organmitglieder. Weiter muss die Führung der Gesellschaft durch eine natürliche Person erfolgen. Art. 20 VegüV stellt diese unzulässigen Vergütungen in einem Katalog dar. Dieser Katalog wurde in Art. 735c revOR übernommen und noch ergänzt. Ziff. 2 und 3 regeln das Verbot von Entschädigungen aufgrund eines Konkurrenzverbots, die geschäftsmässig nicht begründet sind oder den Durchschnitt der Vergütungen der letzten drei Jahre übersteigen. Ziff. 4 verbietet nicht marktübliche Vergütungen im Zusammenhang mit einer früheren Organschaft in der Gesellschaft. Ziff. 5 verbietet schliesslich Antrittsprämien, die keinen nachweisbaren finanziellen Nachteil kompensieren.

3.      Art. 95 Abs. 3 lit. c BV

Buchstabe c besagt, dass die Höhe von Krediten, Darlehen und Renten an die Organmitglieder, deren Erfolgs- und Beteiligungspläne und deren Anzahl Mandate ausserhalb des Konzerns sowie die Dauer der Arbeitsverträge der Geschäftsleitungsmitglieder in den Statuten zu regeln sind. Dies wurde bereits in Art. 12 Abs. 2 VegüV festgehalten und wird mit Art. 626 Abs. 2 revOR mit demselben sinngemässen Wortlaut auf Gesetzesstufe eingeführt.

4.      Art. 95 Abs. 3 lit. d BV

Buchstabe d enthält die Strafbestimmungen bei Widerhandlung gegen die Buchstaben a bis c. Es ist eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren und eine Geldstrafe von bis zu sechs Jahresvergütungen vorgesehen. Art. 24 VegüV regelt diese Strafbestimmungen wie folgt: Für die Geldstrafe wird explizit erwähnt, dass die maximale Höhe des Tagessatzes gemäss Art. 34 Abs. 2 StGB überschritten werden darf, jedoch darf die Geldstrafe das Sechsfache der Jahresvergütung nicht übersteigen. Nur so ist es in Anbetracht der grösstenteils sehr hohen Vergütungen von Verwaltungsratsmitgliedern praktisch möglich, eine Geldstrafe in der vorgesehenen Höhe zu verhängen.

Art. 154 nStGB übernimmt die Regelung aus dem VegüV sinngemäss. Die einzige Änderung liegt in der ausdrücklichen Festlegung in Absatz 2, dass man sich bei Vorliegen von Eventualvorsatz nicht schuldig macht. Dies ist jedoch bereits in Art. 24 Abs. 1 und 2 VegüV geregelt, wonach die tatbestandsmässigen Handlungen nur strafbar sind, wenn sie "wider besseren Wissens", also mit mindestens direktem Vorsatz ersten Grades, verübt worden sind.

5.      Fazit

Gegenüber den bereits in Kraft getretenen Regelungen der VegüV kommen fast keine Erneuerungen mit dem revidierten OR. Lediglich zwei Aspekte sind zu beachten:

  • Erstens wird die elektronische Generalversammlung mit der Aktienrechtsrevision neu geregelt. Um von diesem Instrument Gebrauch zu machen, braucht es einige Vorkehrungen. Genaueres zu diesem Thema entnehmen Sie unserem Beitrag Elektronische Mittel in der Generalversammlung.

  • Zweitens werden in Art. 735c revOR das Verbot von geschäftsmässig unbegründeten überdurchschnittlichen Entschädigungen aufgrund eines Konkurrenzverbots, von marktunüblichen Vergütungen an ehemalige Organe und von Antrittsprämien, die keinen finanziellen Nachteil kompensieren. Es wird empfohlen, die von der Aktiengesellschaft vergebenen Vergütungen auf ihre Gesetzeskonformität nach dem revOR zu überprüfen.

 

Quelle: Botschaft zur Änderung des Obligationenrechts (Aktienrecht), BBl 2017 399, 23. November 2016.


Haben Sie Fragen zur Aktienrechtsrevision 2023? Wenden Sie sich gerne an Balthasar Wicki oder Sebastian Wälti.