Entschädigungspflicht von Privatklägern in Strafverfahren
Erneut präzisierte das Bundesgericht in einem zur amtlichen Publikation vorgesehenen Urteil vom 17. Dezember 2020 (6B_582/2020) seine Rechtsprechung betreffend die Entschädigungspflicht von Privatklägern in Strafverfahren in einem für Strafrechtlerinnen und Strafrechtler wichtigen Entscheid.
Bei der juristischen Beratung im Zusammenhang mit Strafverfahren stellen sich bei Klienten nachvollziehbarerweise oft Fragen zu möglichen Kostenfolgen. Klientinnen und Klienten möchten z.B. wissen, was für ein Kostenrisiko sie haben, wenn ein Entscheid mit einem Rechtsmittel angefochten wird. Für den Fall des Unterliegens stellt sich die Frage, ob man dazu verpflichtet werden kann, einer anderen Partei eine Parteientschädigung bezahlen zu müssen.
Dass Kostenfragen nicht immer einfach zu beantworten sind, verdeutlicht ein neuerer Entscheid des Bundesgerichts (6B_582/2020). Für die Kostenfolgen der Privatklägerschaft ist die Rechtslage komplex und alleinig ein Blick ins Gesetz reicht nicht aus, weil das Bundesgericht in mehreren Leitentscheiden eine umfangreiche Rechtsprechung entwickelt hat.
Die im eingangs genannten Entscheid thematisierte Frage ist, unter welchen Voraussetzungen die (im Schuldpunkt Anträge stellende) Privatklägerschaft die Entschädigung der obsiegenden beschuldigten Person zu tragen hat.
Im ältesten der im Entscheid zitierten Leitentscheide geht das Bundesgericht davon aus, dass die antragstellende Person, die als Privatklägerin am Verfahren teilnimmt, grundsätzlich auch das volle Kostenrisiko tragen soll, während diejenige Person, die nur Strafantrag stellt und sich als Privatklägerin zurückzieht, einzig bei trölerischem Verhalten kostenpflichtig wird (BGE 138 IV 248, E. 4.2.2 f.). Verfahrenskosten und Entschädigungen werden parallel behandelt. Grundsätzlich werden die Kosten dem Verursacher auferlegt (BGE 138 IV 248, E. 4.4.1).
Im Leiturteil BGE 139 IV 45 hielt das Bundesgericht fest, dass für die adäquaten Verteidigungskosten der beschuldigten Person das allgemeine Unterliegerprinzip (wie für die Verfahrenskosten) zum Tragen komme. Erhebt die Privatklägerschaft alleinig Berufung und unterliegt, können ihr demzufolge sowohl die Verfahrenskosten, als auch die Entschädigung der adäquaten Verteidigungskosten der freigesprochenen beschuldigten Person auferlegt werden.
In BGE 141 IV 476 präzisierte das Bundesgericht die in BGE 139 IV 45 eingeführte Rechtsprechung: Die Privatklägerschaft trage die adäquaten Verteidigungskosten nur dann, wenn ein vollständiges gerichtliches Verfahren stattfand und einzig die Privatklägerschaft den erstinstanzliche Entscheid weiterzog. Die Entschädigungspflicht der Privatklägerschaft wurde damit auf die Berufung eingeschränkt und war bei Beschwerden gegen Einstellungs- und Nichtanhandnahmeverfügungen nicht mehr anwendbar (weil vorgängig kein vollständiges gerichtliches Verfahren stattfindet).
Im eingangs genannten Entscheid (6B_582/2020), der ebenfalls zur Publikation vorgesehen ist, wird BGE 141 IV 476 präzisiert: Unabhängig davon, ob ein vollständiges gerichtliches Verfahren stattfand, geht die Entschädigung der beschuldigten Person bei Antragsdelikten regelmässig zulasten der (den Rechtsweg allein beschreitenden) Privatklägerschaft. Die in BGE 141 IV 476 eingeführte Differenzierung kommt also nur noch bei Offizialdelikten zum Tragen.
Im Ergebnis kann die Rechtsprechung wie folgt zusammengefasst werden: Im Berufungsverfahren betreffend Offizialdelikte wird die unterliegende Privatklägerschaft entschädigungspflichtig, im Beschwerdeverfahren (z.B. gegen eine Nichtanhandnahme- oder Einstellungsverfügung) hingegen der Staat. Bei Antragsdelikten wird sowohl im Berufungs- und Beschwerdeverfahren die Privatklägerschaft entschädigungspflichtig.
Herausfordernd dürfte die Differenzierung zwischen Offizial- und Antragsdelikten insbesondere bei Beschwerden gegen Nichtanhandnahme- und Einstellungsverfügungen sein, weil allenfalls umstritten ist, ob es sich um ein Antrags- oder Offizialdelikt handelt und keine gerichtliche Beurteilung vorliegt. Diese Frage kann sich bei Delikten wie z.B. Datenbeschädigung (Art. 144bis StGB) stellen, weil es sich beim Grundtatbestand um ein Antragsdelikt handelt und die Tat erst von Amtes wegen verfolgt wird (Offizialdelikt), wenn ein grosser Schaden verursacht wurde.
Bei Unklarheiten zu Kostenfragen im Strafprozess steht Ihnen Sebastian Wälti sehr gerne zur Verfügung.