TCM-Praxis - darf (bzw. soll) unter Einschränkungen weiterhin offen bleiben
Update vom 22.03.2020, 20:00h
Der Bundesrat hat am 21003.2020 die COVID-19-VO-2/16.03.2020 angepasst und insbesondere auch den Art. 10a Abs. 2 und Abs. 3 (Pflichten der Gesundheitseinrichtungen) neu formuliert, wie folgt:
“2 Gesundheitseinrichtungen nach Artikel 6 Absatz 3 Buchstabe m, insbesondere Spitäler und Kliniken, Arztpraxen und Zahnarztpraxen, ist es verboten, nicht dringend angezeigte medizinische Untersuchungen, Behandlungen und Therapien (Eingriffe) durchzuführen.
3 Als nicht dringend angezeigt gelten namentlich Eingriffe, die:
a. zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt werden können, ohne dass bei der betroffenen Person Nachteile zu erwarten sind, die über geringe physische und psychische Beschwerden und Beeinträchtigungen hinausgehen; oder
b. überwiegend oder vollständig ästhetischen Zwecken, der Steigerung der Leistungsfähigkeit oder dem Wohlbefinden dienen.”
Auch die Erläuterungen des BAG zur COVID-19-VO-2/21.03.2020 wurden mittlerweile ergänzt, angepasst und präzisiert, und sie halten zum hier relevanten Art. 10a COVID-19-VO-2/21.03.2020 nun Folgendes fest:
Zu Art. 6 Abs. 3 COVID-19-VO-2/21.03.2020 (S. 9/19 der Erläuterungen): “Nach kantonalem Recht gelten etwa (dies ist von Kanton zu Kanton verschieden) zusätzlich als Gesundheitsfachpersonen: Akupunkteurin und Akupunkteur, Augenoptikerin und Augenoptiker, Dentalhygienikerin und Dentalhygieniker, Ergotherapeutin und Ergotherapeut, Psychotherapeutin und Psychotherapeut, Heilpraktikerin und Heilpraktiker, Homöopathin und Homöopath, Podologin und Podologe, Therapeutin und Therapeut der traditionellen chinesischen Medizin (TCM). Um unnötige Kontakte zu vermeiden, dürfen in Gesundheitseinrichtungen solcher Fachpersonen aber nur Behandlungen und Therapien durchgeführt werden, die aus medizinischer Sicht dringend sind (vgl. Art. 10a Abs” 2).
Zu Art. 10a Abs. 2 COVID-19-VO-2/21.03.2020 (S. 15/19 der Erläuterungen): “Nach Absatz 2 sind die Gesundheitseinrichtungen generell dazu verpflichtet, in der aktuellen Situation auf nicht dringend angezeigte medizinische Untersuchungen, Behandlungen und Therapien (Eingriffe) zu verzichten. Dies dient zweierlei Zwecken: Zum einen soll damit vermieden werden, dass sich in solchen Einrichtungen nicht unnötige Menschenansammlungen bilden (z.B. in Wartezimmern) bzw. nur Personen aufhalten, die unmittelbar eine Behandlung benötigen. Zum anderen sollen durch aus medizinischer Sicht nicht notwendige Eingriffe keine Kapazitäten und Ressourcen gebunden werden, die potentiell zur Behandlung von Patientinnen und Patienten mit COVID-19-Infektion benötigt werden (Personalressourcen, Infrastrukturen, Heilmittel und Verbrauchsmaterial). Schliesslich ist zu beachten, dass Absatz 2 auch für Tierarztpraxen anwendbar ist; auch dort gilt, dass auf aus medizinischer Sicht nicht dringliche und damit verschiebbare Eingriffe zu verzichten ist.Allgemein gilt: Spitäler müssen sich vorbereiten, und alle Massnahmen treffen, so dass alle Patienten gut behandelt werden können. Sie müssen jederzeit ihre Kapazitäten evaluieren. Wie erwähnt, müssen Gesundheitseinrichtungen wie Krankenhäuser, Kliniken und Arzt und Zahnarztpraxen auf alle nicht dringenden medizinischen Eingriffe verzichten. Dies erfordert, dass alle Akteure des Gesundheitswesens heute Verantwortung übernehmen und Prioritäten für die kommenden Monate setzen.“ […]
Nach Absatz 3 gelten namentlich Eingriffe als nicht dringend, die zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt werden können, ohne dass bei der betroffenen Person über geringe physische und psychische Beschwerden und Beeinträchtigungen hinausgehende Nachteile zu erwarten sind (Bst. a). Andererseits sind auch Eingriffe, die überwiegend oder vollständig ästhetischen Zwecken, der Steigerung der Leistungsfähigkeit oder dem Wohlbefinden dienen, als nicht dringend einzustufen (Bst. b). […]
Eine abschliessende Liste aller zulässigen medizinischen Eingriffe ist nicht möglich. Es liegt schliesslich in der Entscheidkompetenz der Gesundheitsfachpersonen zu entscheiden, ob ein Eingriff notwendig ist oder nicht.”
Mit diesen Präzisierungen hat der Bundesrat und das BAG für alle Komplementärpraxen eine willkommene Klärung gebracht:
Der Kreis der Einrichtungen, die offen bleiben sollen(sic!), ist nun geklärt. Dazu gehören auch die komplementärmedizinischen Praxen nach kantonalem Recht.
Das etwas schwierig anzuwendene Kriterium der “weitere[n] aus medizinischer Sicht nicht dringlichen und damit verschiebbaren Eingriffe und Behandlungen”, die alle medizinischen Einrichtungen nicht mehr durchführen dürfen, wurde durch ein neues Kriterium ersetzt. Neu ist auf “nicht dringend angezeigte” Untersuchungen, Behandlungen und Therapien zu verzichten.
Es wurde vom Gesetzgeber definiert, was als “nicht dringend angezeigt[e]” Behandlungen zu gelten hat, nämlich (i) Eingriffe, die zu “einem späteren Zeitpunkt durchgeführt werden können, ohne dass bei der betroffenen Person Nachteile zu erwarten sind, die über geringe physische und psychische Beschwerden und Beeinträchtigungen hinausgehen”; oder (ii) die “überwiegend oder vollständig ästhetischen Zwecken, der Steigerung der Leistungsfähigkeit oder dem Wohlbefinden dienen” (Auszeichnungen angefügt).
Damit sind (rein aufgrund der bundesrechtlichen Grundlagen) alle Behandlungen von (gemäss Art. 6 Abs. 3 lit. m COVID-19-VO-2/21.03.2020 zugelassenen) Gesundheitsfachpersonen zulässig, die Beschwerden behandeln, die
“über geringe physische und psychische Beschwerden und Beeinträchtigungen hinausgehen”. Damit setzt das BAG also einen eher tiefen Massstab an, der deutlich unter demjeningen von ‘ärztlich verordneten Therapien’ oder “nicht aufschiebbaren Therapien‘ liegt;
zudem dürfen diese (zulässigen) Therapien als reine Nebenwirkung (aber nicht als Hauptzweck) also auch der “Steigerung der Leistungsfähigkeit oder dem Wohlbefinden” dienen. Die Behandlungen müssen also nicht künstlich eingeschränkt werden, solange im Zentrum und als Hauptzweck der Therapie die Behandlung eines Leidens steht, das über eine “geringe physische und psychische Beschwerden und Beeinträchtigungen” hinausgeht.
Die Begründung für diese Pflichten der von den Gesundheitseinrichtungen zu leistenden Behandlungen ergibt sich unzweideutig aus den oben angeführten Erläuterungen zu Art. 10a Abs. 2 COVID-19-VO-2/21.03.2020 (S. 15/19. Zudem sind sicher auch die Gründe gemäss Art. 1 Abs. 2 lit. a und b COVID-19-VO-2/21.03.2020 zu berücksichtigen: Die Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern oder einzudämmen und die Häufigkeit von Übertragungen zu reduzieren und Übertragungsketten zu unterbrechen.
In den Erläuterung des BAG wird auch zweifelsfrei festgehalten, dass es “schliesslich” (damit ist wohl ‘letztlich’ gemeint) in der Entscheidkompetenz der Gesundheitsfachpersonen liegt, zu entscheiden, ob ein Eingriff notwendig ist oder nicht. Es wird also nicht objektivierter Massstab oder irgendeine Art von Drittpersonensicht (wie durch gewisse Verbände kommuniziert) verlangt, sondern ausdrücklich auf die subjektive Beurteilung der Gesundheitsfachperson und ihre abschliessende Entscheidung abgestellt.
Wir empfehlen unseren Klienten aus diesem Sektor des Gesundheitswesens das Folgende:
Alle Online-Buchungssysteme ausschalten und bei Terminanfragen telefonisch vorabklären, ob es sich um Beschwerden handelt, die klar über “geringe physische und psychische Beschwerden und Beeinträchtigungen” hinausgehen.
Bei Patienten, die zu der Gruppe der besonders gefährdeten Personen (Art. 10b COVID-19-VO-2/21.03.2020) sind diesbezüglich allenfalls erhöhte Anforderungen zu erfüllen, um den Grundsatz “stay at home” nicht ohne wirklich ausgewiesene Not zu durchbrechen.
In jedem Fall sind die Patienten aufzufordern, beim Auftreten der geringsten Erkältungssymptome die Behandlung (auch kurzfristig) zu verschieben.
Die telefonischen Vorabklärungen sind in der KG zu dokumentieren.
Sofern nicht unabdingbar erforderlich, ist auf Behandlungsmethoden mit nahem Körperkontakt (z.B. therapeutische Massagen) zu verzichten.
Es sind erhöhte persönliche Hygiene- und andere prophylaktische Schutzmassnahmen zu treffen (siehe auch unten).
Kanton Zürich
Auf der Website der GD ZH wird zum jetzigen Zeitpunkt nach wie vor ausgeführt, dass “Praxen und Einrichtungen von Gesundheitsfachpersonen mit Berufsausübungsbewilligung […] offenbleiben [dürfen], sofern […] Untersuchungen und Behandlungen/Therapien durchgeführt werden, die ärztlich angeordnet, dringend und nicht aufschiebbar sind […]”.
Diese gegenüber dem Bundesrecht deutlich einschränkendere Interpretation der Rechtslage widerspricht zweifelsohne den Vorgaben des Bundesrats und des BAG (wie oben ausgeführt). Eine Publikation auf der Webseite der GD ZH erfüllt zudem die formalrechtlichen Qualifikationen an einen Erlass nicht, der einen Eingriff in die Handels- und Gewerbefreiheit nach sich zieht, der noch deutlich über die aufgrund von bundesrechtlichem Notrecht verfügten Einschränkungen hinausgeht. Dazu bräuchte es einen formalrechtlichen Erlass der Regierungsrats, nicht nur eine beiläufige Äusserung auf einer Website.
Es ist im Interesse des Gesundheitswesens, die Ärzte von unnötigen Konsultationen zu entlasten und da Gesundheitswesen auf möglichst breiter Ebene aufrecht zu erhalten. Schliesslich gibt es neben COVID-19-Erkrankungen sämtliche übrigen medizinischen Beschwerden weiterhin.
Wir empfehlen unseren Klienten im Kanton Zürich, sich umfassend an die nun geklärten bundesrechtlichen Vorgaben zu halten. Es wäre aber sicher sinnvoll, wenn die komplementärmedizinischen Berufsverbände bei der GD ZH vorstellig würden, so dass die Ausführungen auf der Website der GD ZH korrigiert werden, die nicht im Einklang mit Bundesrecht stehen und die zudem das Gesundheitssystem zusätzlich belasten.
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Hier der Auszug aus einer Stellungnahme an eine Klientin, die eine TCM-Praxis betreibt:
Sehr geehrte Frau XXX
Sie haben uns angefragt, ob es unter dem Licht der heute geänderten/verschärften COVID-19-Verordnung 2 (Änderung vom 16.03.2020) des Bundesrats («COVID-19-VO 2/16.03.2020») aus rechtlicher Sicht noch zulässig ist, den Betrieb Ihrer TCM-Praxis weiterzuführen.
Die Bestimmungen von COVID-19-VO 2/16.03.2020 differenzieren in Art. 6 ausdrücklich zwischen den «öffentlich zugänglichen Einrichtungen», die verboten sind (Art. 6 Abs. 2) und denjenigen, die weiterhin zulässig sind (Art. 6 Abs. 3). Dementsprechend sind zwar «personenbezogene Dienstleistungen mit Körperkontakt» (Art. 6 Abs. 2 lit. e) generell nicht mehr zulässig, aber es besteht unter Art. 6 Abs. 3 lit. m ein ausdrücklicher Vorbehalt für «Gesundheitseinrichtungen wie Spitäler, Kliniken und Arztpraxen sowie Praxen und Einrichtungen von Gesundheitsfachpersonen nach Bundesrecht und kantonalem Recht».
Der Bundesrat differenziert also ganz sorgfältig und bewusst zwischen Tätigkeiten «mit Körperkontakt», die im kosmetischen oder reinen Wellness-Interesse sind (und damit nicht mehr zulässig sind), und zwischen solchen, die im Rahmen von Einrichtungen angeboten werden, die unter Bundesrecht oder kantonalem Recht reguliert sind und «Gesundheitsfachpersonen» voraussetzen (und weiterhin zulässig sind). Diese offene und redaktionell wohlgewählte Formulierung will also ganz offensichtlich alle Betriebe weiterhin zulassen, die in irgendeiner Weise als Teil des Gesundheitssystems gelten, also nicht alleine nur Arztpraxen und Spitäler, sondern jegliche öffentlichrechtlich regulierte therapeutische Einrichtung. Dies ist das Ergebnis einer Güterabwägung, die letztlich die Aufrechterhaltung der Gesundheitsversorgung im breiten Sinn ins Zentrum der Massnahmen stellt und diesen «Gesundheitsfachpersonen» aber zugleich die Verantwortung aufbürdet, die vom BAG erlassenen Empfehlungen «betreffend Hygiene und sozialer Distanz» einzuhalten (Art. 6 Abs. 4 COVID-19-VO 2/16.03.2020).
Nachdem Sie über eine kantonalrechtliche Bewilligung verfügen und therapeutische Leistungen erbringen, die letztlich die übrigen Dienstleister im Gesundheitssystem zu entlasten geeignet sind, spricht aus rechtlicher Sicht nichts dagegen, Ihre TCM-Praxis weiter zu betreiben. Ich würde Ihnen allerdings empfehlen, Ihre ohnehin knappen zeitlichen Ressourcen soweit als möglich auf therapeutische Behandlungen (Schmerzlinderung, Immunsystemstärkung, Entzündungstherapie, psychosomatisch bedingte Behandlungen etc.) zu konzentrieren und Patienten mit primären Wellness-Bedürfnissen oder nicht dringenden und aufschiebbaren medizinischen Bedürfnissen (z.B. Fertilitätsthematiken) eher auf eine Zeit nach dem 19.04.2020 zu verschieben, d.h. auf einen Termin nachdem die Massnahmen gemäss COVID-19-VO 2/16.03.2020 abgelaufen sind. Auch würde ich Ihnen raten, sofern möglich Behandlungsmethoden zu wählen, die eine grösstmögliche körperliche Distanz während der Behandlung gewährleisten, also so weit als möglich auf Massagen zu verzichten und bevorzugt andere Therapieformen (z.B. Akupunktur, Moxa etc.) einzusetzen. Damit erfüllen Sie die Stossrichtung der COVID-19-VO 2/16.03.2020 in optimaler Weise. Letztlich diktieren aber die Bedürfnisse des Patienten die Behandlungsweise.
Dass neben einem erhöhten persönlichen Schutz ein zusätzliches, verstärktes Augenmerk auf die Desinfektion aller Oberflächen und Geräte gelegt wird, ist selbstverständlich. Es wäre daher allenfalls angemessen, zwischen den Behandlungen zusätzliche Zeit für die Reinigung des Behandlungsraums einzuplanen und die Reinigung/Bereitstellung anhand einer kleinen Checkliste zu machen. Dass die Patienten vor einem Termin aktiv darauf aufmerksam gemacht werden, auch bei kleinsten Erkältungssymptomen zu Hause zu bleiben und den Termin auch kurzfristig abzusagen bzw. zu verschieben, ist ebenso empfehlenswert. Dass Sie selbst Patienten nur behandeln, wenn Sie selbst keine Erkältungssymptome empfinden, muss auch nicht weiter ausgeführt werden.
[…] Falls ein Therapeut bzw. eine Therapeutin mehrheitlich kosmetische oder Wellness-Behandlungen anbietet, kann es sein, dass eine vorübergehende Schliessung eher angezeigt ist, als bei einem Therapeuten bzw. einer Therapeutin, der/die im therapeutischen Kernbereich tätig ist und damit die übrigen Gesundheitsdienstleister (Ärzte und Spitäler) aktiv entlasten kann.
Stand: Redaktionelle Anpassungen 17.03.2020, 07:17h
Bei Rückmeldungen und Fragen können Sie sich an Balthasar Wicki wenden.